Erste Einsendeaufgabe

Sprinter auf der Schleimspur ist das Ergebnis meiner ersten Einsendeaufgabe im Rahmen des Belletristik Grundkurses. Gestern erhielt ich die Bewertung meiner Dozentin. Ihre Worte haben mich sehr berührt, und es gab keine Korrekturen. Die erste Fassung überzeugte mich nicht, weil die Vorbereitung fehlte. Ich löschte sie zwei Tage später und schrieb eine neue Geschichte in der kindlichen Perspektive. Das Schneckenrennen steht im Fokus der Frage, „warum ich schreiben lernen möchte“.

„Bleistift, Papier und Bücher sind das Schießpulver des Geistes.“

Neil Postman (Amerik. Medienkritiker)

Sprinter auf der Schleimspur

Auf die Plätze fertig los! Die Trillerpfeife ertönt schrill. Die vier Schnecken auf der Zeitung kriechen langsam voran. Wer von ihnen wird gewinnen? Vielleicht der kleine Flitzer mit den rostbraunen Tupfen auf dem Häuschen, denn er hat die drei anderen längst abgehängt. Am gemütlichsten bewegt sich die Albino-Schnecke, sie hat es nicht eilig.

»Dani, komm‘ essen«, ruft meine Mutter aus der Küche. Ausgerechnet jetzt, wo der zweite Rennteilnehmer allmählich aufholt.
»Gleich, Mama. Lass mich das Rennen noch zu Ende machen.«
»Was für ein Rennen?« Meine Mutter kommt zu mir ins Kinderzimmer.
»Du spielst wieder mit den Schnecken? Du wolltest sie doch heute freilassen.«
»Nach dem Mittag, versprochen. Ich brauche doch Ideen für eine neue Geschichte.«
»Okay, aber wenn du fertig bist kommst du essen und danach bringst du die Viecher raus.«
»Das sind Schnecken, keine Viecher«, verbessere ich sie.
»Wie dem auch sei, bitte trödel nicht zu lange herum.«

Die Kriechtiere bummeln, nicht ich. Selbst der schnelle mit dem Tupfenhaus kommt nur langsam voran. Die zweite Schnecke biegt ab, sie hat den saftigen Löwenzahn neben dem Schuhkarton, in dem die Tiere vorübergehend wohnen, entdeckt. Die Katzen kommen ins Zimmer. Moritz interessiert sich wenig für die Weichtiere, Susi hingegen schnüffelt an dem schneeweißen Haus von Miss Albino. Wird sie das Tierchen fressen? Vorsichtig schiebe ich sie beiseite, damit den Schnecken nichts passiert. Moritz legt sich auf das Bett und schaut dem Spektakel unberührt zu. Er reißt sein Maul weit auf und gähnt herzhaft.

Susi gesellt sich zu ihm und ich krame das kleine Schreibheft aus dem Schulranzen. Selbst in die Schule nehme ich es mit, um Beobachtungen zu notieren. Alles, was um mich herum passiert, ist Stoff für Geschichten. Am liebsten schreibe ich über unsere Hauskatzen, doch heute sind die Schnecken dran. Seit einer Woche leben sie im Schuhkarton und ich studiere ihr Verhalten. Sie fressen fast alles, was draußen wächst. Löwenzahn ist ein Wohlgenuss, der ist am schnellsten aufgefuttert. Sie hinterlassen Schleimspuren beim Kriechen und verstecken sich in ihrem Haus, wenn sie sich vor etwas fürchten.

Mit ordentlichen Druckbuchstaben dokumentiere ich das Schneckenrennen. Sie bleiben nicht auf gerader Linie, sondern gleiten in verschiedene Richtungen. Am liebsten dorthin, wo es verzehrbares Grünzeug gibt. Bis auf Tupfenhaus ist keine Schnecke mehr auf der Zeitung. Die Fasern vom Teppich verlangsamen ihre Bewegung, auf glatten Oberflächen sind sie schneller. Ich kaue am Ende des Bleistiftes. Wie lässt sich der Wettlauf für eine Geschichte umsetzen? Schreibe ich über die Weichtiere oder in der Sicht von Miss Albino, die das Rennen schon beim Startpfiff verloren hat? Sie ist enttäuscht, weil sie zu langsam ist.

Die Entscheidung fällt mir nicht leicht. Es gibt reichhaltig zu lernen, um die geschriebenen Texte der Welt zu präsentieren. Meine Mutter liest die Geschichten gerne, macht mir Komplimente, das motiviert mich, dran zu bleiben. Ich werde eines Tages den Beruf der Schriftstellerin lernen. Ich lese fast jeden Tag. Pippi Langstrumpf und den Michel von Astrid Lindgren. Mit Erich Kästner und den Detektiven beschatte ich einen Dieb in Berlin, der das Geld vom Emil im Zug gestohlen hatte.

Eines Tages schreibe ich einen Roman. Gibt es eine Schule, die Schriftsteller ausbildet? Ich kritzel auf den Umschlag des Heftes: Romanschreiben studieren.
Jetzt ist alles erledigt und Zeit fürs Mittagessen, denn meine Mutter wartet.

Randinformationen

Im Alter von ca. 10 Jahren sammelte ich Schnecken und ließ sie für einen Tag in einem Schuhkarton wohnen. Das Rennen ist rein fikiv für die Aufgabe formuliert. Als Kind schrieb ich meine Geschichten über die Hauskatzen Susi und Moritz in ein kariertes DIN A 5 Schulheft.

Ich recherchierte über Schnecken im Internet, weil ich es bevorzugte, die kurzen Informationen über die Weichtiere, so real wie möglich einzubringen. An die Kriecher aus meiner Kindheit erinnere ich mich nur vage, deshalb entspringen Miss Albino und Tupferhaus meiner Fantasie.

Wer weiß, vielleicht trödeln die Sprinter auf der Schleimspur tatsächlich irgendwo auf einer Wiese herum und warten auf das nächste Schneckenrennen.

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